Ich bin kein Veganer. Ich bin Vegetarier. Und zwar ein sehr überzeugter. Ebenso überzeugt von dem, was ich (nicht) esse, wie ein Veganer oder auch ein sog. militanter Fleischesser. Ich bin überzeugt, dass das, was ich tue, richtig ist. Natürlich halte ich mir immer eine Türe offen. Diese Tür trägt die Aufschrift: „Kann sein, dass ich mich irre“.
Gestartet bin ich mit meiner Überzeugung mitte der 90er Jahre. Ja, das ist mittlerweile nun doch schon etwas her. Zu dieser Zeit war als Vegetarier an „Essen gehen“ nicht zu denken, wollte man etwas anderes essen als Beilagensalat. Als ich dies einmal in einem gutbürgerlichen Lokal bestellte, fehlte nicht viel, dass ich rausgeworfen worden wäre: „Wieee, Sie woll’n nur’n Salaaat?“.
Ich musste feststellen, dass alle Lokale – mit Ausnahme vielleicht von Pizzerien – Speck als festen Bestandteil eines Gemüses und Fleisch als einzige Hauptzulage sahen. Um die Millenium-Wende begann sich hier irgendwann etwas zu ändern. Die ersten Lokale in unserer Region begannen, auf Nachfrage auch etwas Vegetarisches zuzubereiten. Gebratenes Gemüse, was immer hauptsächlich aus Zucchini und Aubergine bestand. Aus dieser Zeit stammt auch eine starke Bremse für meine Leidenschaft dieser beiden Gemüsevertreter.
Gelatine als Mogelpackung – für Veganer UND Vegetarier!
Vor allem mein Verzicht auf Gelatine machte es mir nicht wirklich einfacher. Die besteht ja überwiegend aus Schweineknorpel und ähnlichem. Sie versteckt sich gut und wurde auch nicht immer aufgelistet. Mal schnell recherchieren was so in diesem Frischkäse drin ist ging auch nicht so leicht. Das Internet damals gab diese Infos schlichtweg noch nicht her.
Alles in allem war diese Zeit spannend, es wurde aber über die Jahre immer einfacher. Das wohl auch, weil wir durch unser Vorleben und vielem, vielem Reden unseren Beitrag leisteten, den ein oder anderen davon zu überzeugen, auch auf Fleisch zu verzichten.
Retrospektiv betrachtet sind viele, die sich nach Kontakt zu mir entschieden haben es mir gleich zu tun, dabei geblieben. Allerdings gab es auch einige, die ich mit Feuereifer bekehren wollte, vor allem in meiner Anfangszeit. Einige ließen sich darauf ein, blieben aber nie lang dabei. Sie waren nicht mit Herzen dabei, eher wohl aus Schuldgefühlen. Womöglich habe ich ihnen gar einen weiteren Versuch durch meinen Übereifer verbaut. Sie haben es versucht, sind „gescheitert“ und wissen für sich nun: „Ich kann das nicht, für mich ist das nichts. Ich lege lieber ein Steak auf den Grill.“
Letztlich musste ich erkennen, dass das Erzwingen wollen einer Umstellung bei einem anderen vor allem zwei Dinge bewirkt. Es schürt Frust und letztlich sogar Hass. Und es setzt andere unter Druck, die dann in eine „Jetzt erst recht nicht“-Haltung gehen.
Und warum werde ich nicht Veganer?
Zugegeben: vegan zu leben bringt viele Vorteile, vor allem für die Umwelt. Milch hat wie Eier eine schlechte Ökobilanz. Fleisch ist freilich schlimmer. Allerdings hat die Ernährungsform der Veganer auch Nachteile – wie jede andere Ernährungsform auch.
Und genau diese Nachteile sind es, die mich davon abhalten, vegan zu leben. In Kürze:
- Die Gefahr von Mangelversorgung (Vitamin B12, Calcium, langkettige ungesättigte Fettsäuren, etc.
- Schwierige Einkaufsituation: Viele Produkte sind lokal nicht zu bekommen, das drückt die Ökobilanz und erhöht den Zeitfaktor fürs Einkaufen
- Komplexere Zubereitung: Sich ausgewogen vegan zu ernähren bedeutet, deutliche mehr Zeit in der Küche zu verbringen
- Lebensauswirkungen sind drastischer: vegan bedeutet auch Verzicht auf Leder, Wolle, Daunenkissen und weitere Naturprodukte tierischer Herkunft.
- diverse kleiner Gründe, zu denen auch der innere Schweinehund zählt
- … und letztlich so manch ein militanter Veganer, für den Vegetarier noch schlimmer seien als Fleischesser
Überzeugen geht nur durch Vorleben
Die letztgenannten Veganer sind ein Paradebeispiel, warum ich mich entschieden habe, Vegetarier zu bleiben. Ich lebe einen Lebensstil, der in unserer heutigen Zeit nicht schwer umzusetzen ist. Fleischersatzprodukte sind sicherlich keine goldene Alternative und vorallem fast nie ohne Plastik zu bekommen. Aber sie machen einen Umstieg auf eine vegetarische Kost deutlich leichter.
Mein Umfeld wird von mir nicht bekehrt. Vielmehr lasse ich das Thema auf mich zukommen. Meist wird es angeschnitten, wenn man mit neuen Menschen zusammen am Tisch sitzt. Viele wundern sich, dass ich kein Fleisch esse und sprechen mich darauf an.
Ich erzähle dann von meiner Entscheidung. Erwähne Probleme, die tierische Produkte für die Welt bedeuten und dass eine vegetarische Ernährung heute super einfach geht. Niemals, und das meine ich sehr ernst, verurteile ich einen anderen wegen seiner Essgewohnheiten. So schaffe ich Augenhöhe und ermögliche meinem Gegenüber, meinen Standpunkt zu beleuchten, ohne dass er sein Gesicht verliert.
Die Argumente für einen Fleischverzicht sind zahlreich. So gehört Fleisch zu den Lebensmitteln mit der schlechtesten Ökobilanz. Dann wird übermäßiger Verzehr für viele Krankheiten verantwortlich gemacht, unter anderem auch für Krebs. Je nach Quelle werden 250g, als absolutes Maximum 600g bei Menschen mit hohem Energiebedarf pro Woche(!) empfohlen. Und da ist Wurst schon mit eingerechnet. Weiterhin sorgt ein zuviel an Fleisch für weitere Risiken wie Diabetes oder Rheuma.
Der Bauch entscheidet
Doch Ernährung ist selten eine Kopfsache. Daher ist es viel einfacher, wenn man sieht, wie wenig Einschränkungen eine vegetarische Ernährung hat. Und man sieht, wie einfach man sie im Grunde umsetzen kann. Das beflügelt die Fantasie und signalisiert: „Hey, versuche es doch auch mal!“
Unter dem Strich wird man durch eine solche offene Lebensweise mehr Tierleid verhindern können als durch eine extreme Einstellung. Und das kann ich persönlich am besten mit einer vegetarischen Ernährung, da die Kluft zu meinem Nächsten nicht ganz so groß ist.
Eine kleine Rechercheperle am Rande
Im Zuge meiner Recherche bin ich über einen tollen Satz gestolpert. Den will ich euch, hier, am Ende aller Dinge, nicht vorenthalten:
„Der Großteil des deklarierten Salzes stammt aus natriumhaltigen Zutaten.“
Lidl zum hohen Salzgehalt hochverarbeiteter Produkte
Danke Lidl, das hätten wir nun wirklich nicht erwartet!